DIE KUNST DES MINIMALISMUS. ESSAY
Über die Bedeutung von Stimmführung und Timbre im Poetry Film.
Ich möchte meinen Essay mit der Analyse eines Musiktheaterprojektes einleiten: Das Wüstenbuch kam im Rahmen der Wiener Festwochen 2011 zur Aufführung und erzählt von einer Reise in die Wüste. »Auf der Suche nach dem Fremden, das es eigentlich nicht mehr gibt,« so umreißt der Komponist Beat Furrer das Thema des Stücks. Der hoch poetische Text von Klaus Händl wurde im Programmheft mitgeliefert. Das Libretto setzt sich aus Textschichten zusammen: Szenen aus Ingeborg Bachmanns gleichnamigem Fragment, verschränkt mit einem Text und Szenario von Klaus Händl und weiteren Texten von Lukrez, Antonio Machado, José Angel Valente, Apuleius sowie altägyptischen Texten. Die Dichterin Ingeborg Bachmann stellte in ihrem als Wüstenbuch betitelten Konvolut Szenen einer 1964 unternommenen Reise nach Ägypten zusammen und plante, diese mit Eindrücken aus der Großstadtwüste Berlins zu verschränken. Im Libretto ist die Temperatur der Texte hoch, sie sprechen von der Gefahr, verwundet zu werden, und von extremen Sinnesempfindungen: »Mein Gesicht liegt wund, mein Mund öffnet sich nicht mehr …« (Szene VIII). »An dieser Nahtstelle zwischen Diesseits und Jenseits ergibt sich unbedingte Kommunikation – die Seele ist ›wesentlich‹ geworden, man ist in einen ›entzündlichen Zustand‹ geraten,« schreibt Klaus Händl.
Inszeniert hat das Wüstenbuch Theaterregisseur Christoph Marthaler. Komponist Beat Furrer dirigierte das Klangforum. Für das Bühnenbild sorgte Duri Bischoff. Sie unterteilte die Bühne in 6 Hotelzimmer, in der die Texte teils gesungen, teils gesprochen vorgetragen werden. Während der gesamten Aufführung gingen auf den 6 Teilbühnen Personen gleichzeitig auf verschiedenen Schauplätzen auf und ab. Filmisch übersetzt ist das eine Situation von Split-Screen, in der 6 Filmszenen gleichzeitig ablaufen. Die Musik war großartig, filigran, aber leider hermetisch und viel zu dominant und komplex. Keiner der Stars hatte die Größe, seine künstlerische Expressivität ausreichend zu reduzieren. Der Musik von Beat Furrer hätte eine rein konzertante Aufführung besser getan. Ein einfaches reduziertes Bühnenbild wäre vonnöten gewesen. Das Endergebnis war eine Fülle an gleichzeitigen Reizen, die den Zuschauer erschlagen hat. Das Stück scheiterte an zuviel Komplexität. Die Aufführung machte das Publikum sehr müde, fast depressiv, weil die Sinne überfordert waren. Der hervorragende, poetische Text von Klaus Händl konnte zudem kaum wahrgenommen werden.
Ich verwende bewusst dieses Beispiel, um klar zu machen, wie schwierig es ist, die drei Gattungen zu vereinen. Selbst erfahrene Großmeister mit viel Geld können an dieser Aufgabe scheitern, zumal sie ja immer sehr viel riskieren müssen, also an die Grenze gehen, um etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Was hier schief lief, ist jedes Mal eine große Bewährungsprobe im Poetry Film, nämlich Bild, Text und Musik so stimmig zueinander zu orchestrieren, dass aus dem Zusammenspiel ein Gesamtkunstwerk entsteht. Für jede einzelne Kunstgattung bedeutet dies, sehr stark zu reduzieren. Eigentlich sollte im Grundkonzept bereits klar sein, wie dieser Minimalismus erreicht werden kann. Ist beispielsweise die Musik in der Tonspur zu dominant, schränkt dies schon von Anbeginn die Möglichkeiten der Sprache stark ein und der Inhalt des Textes wird kaum wahrnehmbar sein.
Wiederholung als Mittel zur Reduktion
Ein Prinzip, das sich in der Komposition sowohl auf der Bild- als auch auf der Tonebene sehr gut bewährt und auch oft eingesetzt wird, ist das Prinzip der Wiederholung. In der Sprache ist es der Refrain, im Musikalischen die Wiederholung von Kadenzen und Akkorden, auf der Filmebene sind es statische Bildelemente, die leicht variiert und mit minimalen Variationen aneinandergereiht werden. Gewöhnt sich das Auge an fast gleichbleibenden Bildsequenzen, wird schon nach kurzer Zeit mehr Aufmerksamkeit für die Text- und Tonebene frei. Dasselbe gilt für Wiederholungen im Musikalischen und in der Sprache. Wir finden das Prinzip der Wiederholung sehr oft in den Texten des Poetry Slams. Auch Thomas Bernhard, ein Meister des musikalischen Schreibens, hat sich virtuos und sehr publikumswirksam dem Prinzip der Wiederholung bedient.
Das Zusammenspiel zwischen Musik, Text und Filmsprache kann sehr unterschiedlich angelegt werden. Ich bevorzuge Ausgewogenheit. Das bedeutet auf allen drei Ebenen Text, Musik und Bild minimalistische Formensprache. Minimalismus alleine ist aber noch nicht genug. Ein typisches Paul Celan-Gedicht ist zwar äußerst minimalistisch, aber gleichzeitig auch äußerst hermetisch. Gleiches gilt ebenso im Bereich der Musik. Es gibt minimalistische Klangkunst, die sich nicht für den Poetry Film eignet. Als Beispiel möchte ich hier auf Cia Rinnes bekannte Digital Poetry-Arbeit Sound for Soloists verweisen.
Die Tonspur von Cia Rinne ist minimalistisch vom Stil her, jedoch in sich selbstreferentiell. Eine solche Tonspur lässt keinen Raum frei für die filmische Ebene, weil die Zwischenräume, wo das Bewegtbild ansetzen könnte, in der Musik geschlossen werden. Sowohl Text als auch Musik oder Bild können durch die Art, wie sie gemacht sind, offen sein und ein Ineinanderweben von Bewegtbild, Ton und Text begünstigen – genau dieser Zustand muss angestrebt werden.
Filmmusik und Poesie
Im Poetry Film gewährleistet die Musik sehr oft den Spannungsbogen. Ist die Musik jedoch zu dominant, deckt sie die Sprache zu und wir haben ein beliebiges Musikvideo und keinen Poetry Film. Die Sprachebene ist am schnellsten redundant und übertönt. Die Poesie ist das sensibelste Pflänzlein im Gesamtgefüge, das es zu beschützen gilt. Ein stimmiges Gleichgewicht herzustellen ist ein hochgradig sensibler Balanceakt. Nicht selten entscheidet sich auf dieser Ebene, ob der Poetry Film gelingt oder scheitert.
Da ein Poetry Film meist von Filmkuratoren beurteilt wird, empfiehlt es sich, den filmischen Ausdrucksmöglichkeiten nicht von vornherein zuviel Luft abzuschneiden durch eine sehr komplexe Sprache oder eine überbordende Filmmusik. Medienkunstnahe Poetry Filme habe oft zuviel Musik bei sehr wenig Sprache. Die Sprache ist meist auf ihre Typographie, das Einblenden von Schriftzügen, deren Bedeutung kaum wahrnehmbar ist, reduziert. Hier wird auf Kosten der Sinnstruktur von Sprache Komplexität reduziert.
Es gibt jedoch auch erfolgreiche Poetry Filme, die diese Regeln einer ausgewogenen Gesamtkomposition brechen und ein Ungleichgewicht zur Kunstform erheben. Ein Beispiel dafür ist der Film von Brigitta Falkner mit dem Titel Strategien der Wirtsfindung, der 2014 den Hauptpreis des Poetry Film Festival Wien gewann und auch unter den besten 30 Filmen des letzten ZEBRA-Festivals war.