Literaturhaus Salzburg 9. Februar 2011
Den 80. Geburtstag von Thomas Bernhard am 9. Februar 2011 feierte das Literaturhaus Salzburg mit ART VISUALS &POETRY und Sepp Dreissingers Film über Bernhard. Unter dem Titel „Der Gigant und wir. Thomas Bernhard REMIXED“ setzten sich junge Autorinnen von ART VISUALS mit dem weltbekannten österreichischen Schriftsteller auseinander. Dazu schrieben drei zeitgenössische Autorinnen eigens Texte als Kommentare oder Sichtweisen auf Thomas Bernhard (Regie: Sigrun Höllrigl, Live Visuals 4youreye, Moderation & Lesung Hubert Kramar). Die Veranstaltung war mit knapp 150 Zuschauern restlos ausverkauft.
Ausgangspunkt bildete die mit politischen Kommentaren versehene Thomas Bernhard-Lesung von Hubert Kramar, der im bis auf den letzten Platz gefüllten Literaturhaus schonungslos und fern jeglicher Unterhaltung den Widerständler Thomas Bernhard aufleben ließ. Ausgehend von den radikalen Bernhard-Texten „Frost” (1963) und „Gehen“ (1971) trugen Sophie Anna Reyer, Judith Pfeiffer, Barbara Markovic und Sigrun Höllrigl Ihre Interventionen, Huldigungen, Dekonstruktionen, Kommentare zu Thomas Bernhard vor. Live visualisiert wurden die Texte von 4youreye.
Anne Sophie Reyer - Thomas Bernhard Remixed I - Frostgehen (Alptraumlandschaft)
Anne Sophie Reyer spürt in ihrem Text „Frostgehen (Alptraumlandschaft)“ der Figur des Malers Strauch in „Frost“ nach, in dem die Autorin ein Alter Ego von Thomas Bernhard erkennt. Die Spurensuche geschieht im inneren Monolog einer Frau, der mit Frost-Zitaten gesprenkelt ist. Durch Vielstimmigkeit, rhythmische Wechsel und Collagetechnik werden die aus der Autorinnenperspektive relevanten Bernhard-Themen auf ihre subjektiven Ansätze und post- feministischen Ideen abgeklopft. So wird „Gehen“ ein Rettungsversuch bzw. äußert sich der verdrängte Mutter-Hass des Malers in der Aussage: „Die Frau ist das Werkzeug des Teufels“.
Sigrun Höllrigl - Thomas Bernhard Remixed II - der künstler und sein publikum
Sigrun Höllrigl greift in ihrem Text " der künstler und sein publikum" ein klassisches Thomas Bernhard-Thema auf, die Publikumsbeschimpfung und fundiert die emotionale Suada des weltbekannten Übertreibungskünstlers Thomas Bernhard mit der Kunsttheorie von Wassily Kandinsky. Neben der Theorie fließen auch viele persönliche Erfahrungen der Autorin im Umgang mit "Kunstberserkern" wie Thomas Bernhard mit ein.
Barbi Markovic - Thomas Bernhard Remixed III - Ausgehen
Barbi Markovic überführt in ihrem Roman "Ausgehen" Thomas Bernhards "Gehen (1971) aus dem Deutschen ins Serbische und wieder zurück ins Deutsche. Aus der Entsetzlichkeit von Bernhards Wien wird die mindestens ebenso große Entsetzlichkeit des Belgrader Nachkriegs-Nachtlebens. Spielerisch und gnadenlos fügen sich die Sätze im Bernhard-Rhythmus zum Remix: Aus Gehen wird Ausgehen, aus der Katastrophe im rustenschacherschen Hosenladen und dem Verrücktwerden Karrers ein Social Suicide auf einem Plastikman-Konzert, aus der Irrenanstalt Steinhof der finale Rückzug vor die Glotze.
Judith Pfeifer - Thomas Bernhard Remixed IV - frostentzauber
Etwas scheint aus dem Ruder gelaufen. Keiner scheint etwas dagegen tun zu können. Wogegen eigentlich? In „frostentzauber“ mixt, verdichtet und aktualisiert Judith Pfeifer zentrale Themen aus Thomas Bernhards „Gehen“ und „Frost“ zu einem Dialog zwischen einem imaginierten Publikum und einem „Du“, das an der Unmöglichkeit seiner Mitmenschen leidet. Das Du redet mit seinem Megafon gegen eine kollektive Gefühlskälte, gegen ein allgemeines Ohnmachtsgefühl an, um letztendlich genau eben dieser Ohnmacht ausgesetzt zu bleiben.
Am Ende steht die Erkenntnis: „Das Du ist im Ich gefangen.“ Oder mit Thomas Bernhard gesprochen: "Ganz alleine geht ein Geistesmensch durch sein Leben, wenn sie auch alle erfrieren an seiner Seite". Es sind die anderen, die erfrieren. Sind es die anderen, die erfrieren?