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Rainer Maria Rilke - An Lou Andre-Salome

 

I

Ich hielt mich überoffen, ich vergaß

dass draußen nicht nur Dinge sind und voll

in sich gewohnte Tiere, deren Aug

aus ihres Lebens Rundung anders nicht

hinausreicht als ein eingerahmtes Bild;

dass ich in mich allem immerfort

Blicke hineinriss: Blicke, Meinung, Neugier.

Wer weiß, es bilden Augen sich im Raum

und wohne bei. Ach nur zu dir gestürzt,

ist mein Gesicht nicht ausgestellt, verwächst

in dich und setzt sich dunkel

unendlich fort in dein geschütztes Herz.

 

 

II

Wie man ein Tuch vor angehäuften Atem,

nein: wie man es an eine Wunde presst,

aus der das Leben ganz, in einem Zug,

hinauswill, hielt ich dich an mich: ich sah,

du wurdest rot von mir. Wer spricht es aus,

was uns geschah? Wir holten jedes nach,

wozu die Zeit nie war. Ich reifte seltsam

in jedem Antrieb übersprungener Jugend,

und du, Geliebte, hattest irgendeine

wildeste Kindheit über meinem Herzen.

 

 

III

Entsinnen ist da nicht genug, es muss

von jenen Augenblicken pures Dasein

auf meinem Grunde sein, ein Niederschlag

der unermesslich überfüllten Lösung.

Denn ich gedenke nicht, das, was ich bin

rührt mich um deinetwillen. Ich erfinde

dich nicht an traurig ausgekühlten Stellen,

von wo du wegkamst; selbst, dass du nicht da bist,

ist warm von dir und wirklicher und mehr

als ein Entbehren. Sehnsucht geht zu oft

ins Ungenaue. Warum soll ich mich

auswerfen, während mir vielleicht dein Einfluss

leicht ist, wie Mondschein einem Platz am Fenster.

 

 

Quelle: www.rilke.de

Nach Rainer Maria Rilke, November oder Dezember 1911, Duino. Insel Almanach 1952 (korrigiert in: Gedichte 1906 bis 1926. Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren. Copyright frei (copyright free!)

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